Frauen-Stimmen zum Thema Familien - so leben wir

Das Magazin der Frauenkommission im Tiroler Sonntag

 

Familien - so leben wir

Familie ist der Raum, der unser Leben wesentlich prägt. Sie ist Rückzugsort ins Private, aber zugleich kirchlich und politisch umkämpft. Die Frauenkommission der Diözese Innsbruck setzt sich daher intensiv mit der Thematik „Familie und Frauen“ auseinander.

Die Corona-Pandemie verschärft viele Probleme, umso wichtiger ist es, hier genau hinzusehen. Michaela Quast-Neulinger zeigt in ihrem Artikel auf, wie sehr Staat und Kirche darum kämpfen, die Hoheit über Familienbilder zu haben. Doch wo kommen die Betroffenen zu Wort? „Etwas haben alle Arbeiten gemeinsam – sie gehören gemacht“, so die Aussage des Landwirtes in der Kampagne „MÄNNER, MACHT mehr DAHEIM!“. Obwohl Männer sich seit Anfang der 80er-Jahre vermehrt um Hausarbeit und Kindererziehung kümmern, verrichten Frauen immer noch deutlich mehr unbezahlte Arbeit. Diese ungleiche Verteilung hat für Frauen viele negative Konsequenzen, wie Altersarmut, geringeres Einkommen, schlechtere Karrierechancen. Studien der Wirtschaftsuniversität Wien zeigen, dass sich „vor allem ab dem Zeitpunkt, ab dem Kinder im Haushalt leben, traditionelle Rollenbilder etablieren, aus deren Fahrwasser viele Frauen nicht mehr herauskommen“.
Die Pandemie hat diese Schieflage für Frauen massiv verstärkt. Die Lebensbilder in dieser Beilage sprechen für sich.  

Mag.a Ingrid Jehle, Phd
Vorsitzende der Frauenkommission 

Konfliktpunkt Familie
„Familie“ ist heute eines der Kernthemen der öffentlichen Debatte in der und um die Katholische Kirche. Vielfach erscheint sie als der Identitätsmarker von Katholizität, insbesondere in politischen Auseinandersetzungen. Während der Corona-Pandemie wird sie als Ort der Hauskirche stark gemacht. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass hier auch eine gewisse Vorsicht angebracht ist.
Jesus selbst steht immer wieder in Konflikt mit seiner Herkunftsfamilie. „Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie“, heißt es in Mk 6,4. Zwar reformiert Alfons von Liguori im 18. Jahrhundert die katholische Ehelehre, aber ansonsten herrscht lange wenig Interesse an Ehe und Familie. Auszubrechen beginnen die Konflikte nach der Französischen Revolution. Die neu entstehenden Staaten verdrängen Religion in den privaten Raum, zugleich gilt Religion als Sache der Frau, die aber unter dem verhängnisvollen Einfluss der Priester stehe.  

Die Politikwissenschaftlerin Joan Scott zeigt, wie Familie und Frau ein zentraler Konfliktpunkt zwischen Staat und Kirche werden. „Die Frau“ müsse aus den falschen Fängen des Klerus befreit werden, um unter die Herrschaft des Ehemannes bzw. des Staates zu kommen. Beide, Staat und Kirche, erheben Anspruch darauf, die wahre, legitime Autorität über Frau und Familie zu sein. Familie wird idealisiert als das traute Heim und zugleich vom Nationalstaat politisiert. Sexualität, die nicht der Produktion von Nachkommenschaft dient, gilt als „Krieg gegen die menschliche Gesellschaft“, so Scott. Je stärker die Interessen des Staates werden, umso mehr ist die Kirche herausgefordert zu reagieren.

Die Enzyklika „Arcanum Divinae Sapientiae“ (1880) verteidigt vehement das katholische Eheverständnis gegen den Zugriff des Staates und die Zivilehe. Ab den 1930er Jahren kommt es zu einer immer stärkeren Ideologisierung von Familie, Geschlecht und Sexualität. Der Historiker James Chappel zeigt, wie Körper und Familie zum Brennpunkt der katholischen Moral werden. Dabei treten zwei Gruppen hervor: Paternalisten und Fraternalisten. Beide teilen die Lehre der Kirche über Scheidung, Abtreibung, Verhütung, aber sie vertreten unterschiedliche Ehe- und Familienmodelle. Paternalisten stellen die patriarchal strukturierte Familie ins Zentrum. Der Ehemann und Vater steht als Herrscher an der Spitze, das vorrangige Ziel ist die Produktion von Nachkommenschaft für Kirche und Vaterland.
Analog zur Familie soll auch der Staat organisiert sein. Viele katholische Paternalisten schlugen eine faschistische und antisemitische Richtung ein. Fraternalisten hingegen sehen die Ehe vor allem als Gemeinschaft von Liebe, Solidarität und Sexualität, die auch, aber nicht nur, der Zeugung dient. Für sie steht nicht der Staat, sondern die Zivilgesellschaft als Ort des Dialogs im Zentrum.  

Die Parteiung in hierarchisch orientierte Paternalisten und solidarisch orientierte Fraternalisten hat sich in den vergangenen 20 Jahren neu zugespitzt. Heutigen Paternalisten gelten Gender-Theorie, Multikulturalismus und Globalisierung als ultimative Feinde von Familie, Kirche und „christlichem“ Staat. Diese Feindbilder stiften wie vor 100 Jahren die Brücke zwischen religiösen und politischen totalitären Gruppen. Papst Franziskus hingegen legt mit Amoris Laetitia und Fratelli Tutti zwei Enzykliken vor, die wegweisend sind für ein solidarisches Verständnis von Familie, Politik und Gesellschaft. Hier finden wir eine Kultur des Dialogs, der Liebe und Solidarität, die Familien in ihren unterschiedlichen Situationen und Herausforderungen ernst nimmt. Familie ist nicht perfekt, Familie prägt, ob wir wollen oder nicht. Im besten Fall ist sie der Ort, an dem Beziehungs- und Konfliktfähigkeit wachsen und an den wir immer wieder zurückkehren dürfen.

Dr.in Michaela Quast-Neulinger
Universität Innsbruck 

Generationen umsorgen

Ich bin Mitte 40 und standesamtlich sowie kirchlich verheiratet. Mit meinem Mann und meinen drei Kindern (16, 14, 6) leben wir auf einem Bauernhof in einem Tiroler Tal. Wir haben einen Milchviehbetrieb, Hühner, zwei Katzen und einen Hund. Unser Grundeinkommen beziehen wir von der Saisonarbeit meines Mannes bei den Bergbahnen und dem Vermieten unserer Ferienwohnungen und unserer Alm. Derzeit ist aber aufgrund der Coronasituation beides nicht möglich. Mein Tag startet, außer am Sonntag, um 5:30 Uhr, dann richte ich das Frühstück. Mein Mann mistet den Stall aus und dann frühstücken wir gemeinsam. Das ist die schönste Zeit am Tag und auch die ruhigste. Meinen Sohn wecke ich um 6 Uhr und führe ihn anschließend zweimal die Woche zum Zug. Die Mittlere macht Homeschooling und damit sie rechtzeitig am Computer sitzt, wecke ich sie um 7 Uhr früh. Wenn alle zuhause sind, setzen wir uns mit den zwei Laptops in die Stube und machen daraus ein kleines Schulzimmer. Beim Kleinen bin ich jetzt soweit, dass ich ihn dreimal die Woche in die Schule schicken muss, weil er nicht bei seinen Schulaufgaben sitzen bleibt und streikt. Am Vormittag helfe ich abwechselnd den Kindern bei den Aufgaben und kann sonst nichts im Haus machen. Zu Mittag koche ich und dann schauen wir auch, dass wir gemeinsam essen. Das ist uns sehr wichtig. Die Schwiegermutter, ein feiner Mensch, die auch im Haus lebt, betreue ich mit, speziell seit der Coronapandemie geht sie nicht mehr außer Haus. Mein Tag endet ca. um 22.30 Uhr, nachdem ich so die üblichen Dinge im Haus getan habe, wie putzen und aufräumen. Dann bin auch ich müde.
Die Autorin will anonym bleiben 

Einfach Familie sein (dürfen)

Ein Kinderwunsch entstand bei mir erst, als ich in Beziehung mit einer Frau lebte. Davor konnte ich mir das einfach nicht vorstellen. Bei der Verwirklichung von unserem Wunsch, Familie zu sein und zu leben, hatten wir in vielem Glück. Ein so unterstützendes Umfeld ist nicht selbstverständlich und erst vor wenigen Jahren wurden in Österreich die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen. Manche Herausforderungen, auf die wir uns eingestellt hatten, sind nicht eingetreten. Zum Beispiel hat mein Arbeitgeber mir ganz unkompliziert einen „Papamonat“ genehmigt, noch bevor es für gleichgeschlechtliche Paare einen rechtlichen Anspruch darauf gab. Die gemeinsame Zeit am Anfang war wunderschön und wichtig für uns. Beim Arbeitgeber meiner Partnerin ging nicht alles so glatt, was schließlich zu einer mehrmonatigen Verzögerung beim Kinderbetreuungsgeld führte.
Unser Alltag unterscheidet sich in vielem wahrscheinlich nicht von anderen Familien, bei manchen Entscheidungen machen wir uns aber sicher mehr Gedanken. Krippe und Kindergarten wählten wir sorgfältig aus und dachten im Vorfeld darüber nach, wie die Betreuerinnen und Betreuer mit unserer Familiensituation wohl umgehen würden. Gibt es eine Sensibilität für Familienkonstellationen abseits von Mutter-Vater-Kind? Gibt es zum Beispiel kreative Lösungen bei Anlässen wie Muttertag und Vatertag? Aus unserer eigenen Kindheit wussten wir, dass gerade in Kindergarten und Schule oft nicht auf „Anderssein“ Rücksicht genommen wurde. Wir wollen nicht, dass sich unser Kind ausgeschlossen fühlen muss. Im Kindergarten sind in der gleichen Gruppe noch andere Kinder mit zwei Mamas. Ein Glücksfall, der dazu beiträgt, Regenbogenfamilien als eine Möglichkeit unter vielen und ein Stück weit als Normalität zu erleben: nicht nur für uns, sondern für alle.  

Flavia Guerrini

Möglichst leise alleine

„Mama, ich darf nie, nie, nie meine Freunde sehen!“, schluchzt die Vierjährige. Auf einmal beginnt die ausgesprochene Frohnatur täglich zu jammern. Und sie hört nicht mehr auf. Der Lockdown wird ihr ganz plötzlich zu viel. Zu viel Zeit muss sie möglichst leise alleine spielen oder sitzt vor dem Fernseher. Ihre drei Geschwister lernen online, teils bis 17 Uhr, mein Mann arbeitet von zu Hause. Ich bin an meinem Arbeitsplatz in der Schule. Wir schicken sie in den Kindergarten, auch weil mein Mann wieder öfter auswärts arbeiten muss. Unsere Kleine beruhigt sich.

An vieles haben wir uns inzwischen gewöhnt. Wir haben in dieser Krise so viel Familienzeit wie noch nie: Kaum Freundinnen und Freunde treffen, kein Fußballtraining, kaum Schule, kein Schwimmkurs, Kurzarbeit, kaum Gottesdienste… Das Handy wächst den großen Kindern an der Hand fest – ihre Tür zur Außenwelt. Sie ertragen den Stillstand mit erstaunlichem Gleichmut. Besonders wichtig wird, was im Kühlschrank ist (und was nicht). Der wöchentliche Großeinkauf im Supermarkt wird zum Highlight.

Die Hausarbeit verteilt sich auf mehrere Personen, die mit unterschiedlichem Elan dabei sind. Wir Eltern schicksalsergeben, die Kinder augenrollend. Nach Perfektion strebt ohnehin niemand. Mein Mann und ich merken schnell, dass wir uns im vielen Zusammensein auch Freiräume schaffen müssen. Im Bekanntenkreis bröckeln viele Beziehungen, manche halten dem Druck nicht stand. Bei uns ergibt es sich irgendwie, wir finden unsere Schlupflöcher. Was ich echt vermisse, ist die Ungezwungenheit.

Helene Daxecker-Okon

An die Grenzen kommen

Als meine Beziehung 2013 nach 11 Jahren in die Brüche ging, war ich fünf Jahre davon verheiratet und unsere Mädchen waren 2 und 4 Jahre alt. Von heute auf morgen musste ich nun schauen, wie wir drei Mädels zurechtkommen und ich für unseren Unterhalt aufkomme. Zum Glück hat sich damals sehr schnell über das AMS ein Kurs angeboten und noch kurz bevor ich diesen abgeschlossen habe, hat sich eine geeignete Halbtagesstelle für mich aufgetan. So war die erste große Last von mir genommen. Ich habe ausreichend verdient und gemeinsam mit den Alimenten für die Kinder sind wir gut ausgekommen.

Nach ca. vier Jahren musste ich dann feststellen, dass mein Körper Symptome zeigt, die nicht mehr zu einem „gesunden“ Menschen passten. Arbeit, Haushalt, Kinder, alles unter einen Hut zu bringen, forderte seinen Tribut. Mein Schlaf hat nicht mehr funktioniert, die Tage wurden immer anstrengender, Besserung kam nicht in Sicht. Nachdem ich diesen Zustand noch ein Jahr lang mitgezogen habe, kam der Punkt, an dem ich merkte, dass nichts mehr ging. Lähmungserscheinungen im Gesicht, stündliches Aufwachen jede Nacht und kaum noch über den Tag kommen. Ich ging zum Arzt, wurde sofort sehr ernst genommen. Ich steuerte geradeaus auf ein Burnout zu. Schnelles Handeln war gefragt. Ich tat, was am dringendsten nötig war: Ich kündigte Anfang 2019 meine Arbeit. Danach ging es für ca. ein halbes Jahr in den Krankenstand. Damit war es jedoch nicht getan. Bis heute kämpfe ich mit dem Stress, dem man, trotz aller Unterstützung von Familien und Freunden, ausgesetzt ist, denn die Verantwortung liegt am Ende nun mal bei einem selbst.

Ich bin gerade dabei, mir meine eigene kleine Selbstständigkeit aufzubauen, sodass Arbeiten von Zuhause aus möglich ist. Gerade in Zeiten wie diesen, wo seit Monaten „Homeschooling“ angesagt ist, ist das gar nicht so einfach. Jedoch schätzen meine Kinder sehr, dass ich da bin und allein das gibt mir sehr viel zurück. Denn trotz aller Anstrengungen, die das Alleinerziehend-sein mit sich bringt, gibt mir die Liebe meiner Kinder jeden Tag auf‘s Neue Aufschwung und Kraft.

Sabrina Perktold

Video-Kampagne
Hausarbeit – mehr als Homeoffice 

Männer dafür gewinnen, sich verstärkt in die Arbeit in Haushalt und Familie einzubringen. Das ist Ziel einer Kampagne mit Videoclips, die seit 4. Februar unter dem Titel „Hausarbeit – mehr als Homeoffice“ in sozialen Medien zu sehen sind.

Ist Haus-, Familien- und Erwerbsarbeit schon bisher ungleich verteilt gewesen, so geraten gegenwärtig Frauen noch mehr unter Druck. Angelika Ritter-Grepl, Leiterin der KFB Österreich, erklärt: „Hausarbeit, Homeoffice, Homeschooling und gleichzeitig die Unabkömmlichkeit in systemrelevanten Berufen – so sieht die belastende
Lebensrealität vieler Frauen aus. Diese strukturellen Rahmenbedingungen verhindern, dass Frauen und Männer gleichberechtigt und gut leben können. Die ungleiche und ungerechte Verteilung von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Haus- und Familienarbeit ist der Dreh- und Angelpunkt, den es zu verändern gilt.“  

Die Videoimpulse zeigen Männer, die sich in ihrem Beruf ebenso engagieren wie bei der täglichen Hausarbeit. Mit dabei sind ein Landwirt, ein Chemiker, ein Geschäftsführer und ein Neuer Selbständiger. Auf humorvolle und prägnante Weise laden die Clips zur Diskussion über eine faire Verteilung der Hausarbeit ein. „Männer sollen motiviert werden, sich verstärkt oder zumindest gleich stark wie vor der Krise, zu Hause – abseits vom Homeoffice – zu engagieren“, so Alfred Natterer von der Abteilung Familie und Lebensbegleitung.

http://www.youtube.com/diozeseinnsbruck

Frauen-Stimmen zum Thema Familien - so leben wir